Die deutsche Industrie wirbt gerne mit "made in Germany". Denn beim Kunden weckt es nicht nur das Gefühl, ein gutes, durchdachtes Produkt zu kaufen, sondern auch die Hoffnung, dass es hierzulande unter einigermaßen akzeptablen Arbeitsbedingungen hergestellt wurde. Burladingen ist nun mal nicht Bangladesch.
Gleichzeitig hat sich langsam herumgesprochen, dass selbst in Produkten, die als "made in Germany" beworben werden, ein gehöriger Anteil an China oder Polen stecken kann. Und ist es in einer globalisierten Welt nicht ganz normal, dass komplette Bauteile aus dem Ausland zugekauft oder Fertigungsprozesse in Länder mit günstigeren Arbeitslöhnen ausgelagert werden?
Wie viel deutsche Produktion steckt in "made in Germany"?
Eine feste Regelung, ab wann ein Produkt als "made in Germany" beworben werden kann, gibt es nicht. Lediglich aus Gerichtsurteilen lassen sich Hinweise ableiten. Zuletzt legten die Richter des Düsseldorfer Oberlandesgerichts die Sache sehr frei aus: Was zählt, sei die allgemeine Verkehrserwartung, also das, was der durchschnittliche Verbraucher von einem Produkt erwartet. Bei einem Besteckset, auf dem ein "made in Germany" prangt, darf demnach das Messer nicht aus China stammen. Und bei einem Kondom genügt es nicht, dass es in Deutschland eingesiegelt, kontrolliert und verpackt wurde, erklärten die Richter des Oberlandesgerichts Hamm.
Auch der Zollkodex der EU bietet Herstellern Orientierung. Entscheidend für die Herkunftsbezeichnung ist demnach der Ort, an dem das Produkt der "letzten wesentlichen Be- und Verarbeitung" unterzogen wurde.
Wir sind der Frage nachgegangen, wie viel Deutschland tatsächlich in Produkten steckt, die das "Made in Germany"-Label tragen oder deren Hersteller sonst irgendwie den Anschein erwecken, in Deutschland zu produzieren. Im Test: 72 Produkte von A wie Abus bis Z wie Zwilling.
Das Testergebnis: Wo sind die Produkte hergestellt worden?
Made in Germany? Mal stimmts, mal nicht. Die Herkunftsbezeichnung fanden wir sowohl auf Produkten, die von vorne bis hinten in Deutschland hergestellt wurden, als auch auf solchen, bei denen eben nur ein kleiner Teil der Fertigung in der Bundesrepublik stattfand.
Einige Fälle für die doppelte Staatsbürgerschaft: Das Baumwollgemisch, aus dem ein Spaghettiträgerhemd hergestellt wird, wurde in Deutschland gestrickt und ausgerüstet. Doch zusammengenäht wurde das Hemdchen in Ungarn.
Ganz ähnlich sieht es bei der Bettwäschegarnitur und dem Frotteehandtuch aus: Hier erfolgt die Konfektion in der Slowakei beziehungsweise Tschechien. Beim Vorhangschloss stammen wesentliche Teile aus China: Zylinder und Schlüssel werden von einem Ableger im Reich der Mitte, in Shenzhen, hergestellt, von dort nach Wetter an der Ruhr transportiert und verbaut.
Aus China stammen auch die Hüllen für die Kassettendecke, in die man bei der Oberbadischen Bettenfabrik in Lörrach die hier aufbereiteten Entendaunen stopft. Und der Playmobil-Polizist, der auf dem Polizeimotorrad sitzt, hat sich als Malteser herausgestellt. Nur seine Maschine wurde in Deutschland hergestellt. Nichts gegen Malteser - aber in so einem Fall sollte man eben nicht mit einem "Made in Germany" werben.
Viele Bettwäschesets werden damit beworben, in Deutschland hergestellt zu sein. Was man nicht ahnt: Das Gewebe kommt hier gerne mal aus sonstwo. Ein Hersteller etwa importiert für seine Bettwäschegarnitur Baumwollgewebe aus Pakistan. Und der Stoff, aus dem ein Bettbezug ist, stammt aus Thailand, ebenso wie bei einem weiteren Produkt. Entworfen, bedruckt, zugeschnitten und genäht wird jeweils in Deutschland. Die Webstühle stehen woanders. Uns ist das ein bisschen zu wenig "Germany".
ÖKO-TEST vergibt Punktabzüge für Intransparenz
Wir haben bei den Herstellern Nachweise angefordert, etwa Rechnungen oder Lieferbescheinigungen, die nachvollziehbar machen, woher sie ihre Materialien oder Bauteile beziehen. Darüber hinaus wollten wir wissen, welche Fertigungsschritte an einem Produkt durchgeführt werden. Viele Hersteller beriefen sich auf ihr Betriebsgeheimnis - und das, obwohl wir absolute Diskretion zugesichert haben und natürlich keinesfalls Details zu den Lieferanten veröffentlicht hätten.
Für so wenig Transparenz gibts Punktabzug. Auch für die eine Firma, die uns schreibt, sie sei eines der letzten, "wenn nicht sogar das letzte Unternehmen", welches das Produkt in Deutschland produziere. Wir konntens anhand der Unterlagen, die uns vorgelegt wurden, leider nicht nachvollziehen.
Keine Antwort ist auch eine Antwort
Ausgerechnet etliche Traditionsfirmen teilten uns mit, dass sie unsere Fragen zur Herstellung nicht beantworten möchten. Etwa der Hersteller des Bobbycars, auf dessen Umkarton ein großes "Made in Germany" prangt. Ein Textilhersteller wirbt zwar online mit hochwertigster Qualität "Made in Germany", teilte uns aber mit, das Produkt sei nicht "made in Germany", das würde so auch nicht kommuniziert. Aha!
So reagierten die Hersteller
Karl-Ernst Ross, Chef der Ross Textilwerke, wunderte sich zunächst, wie das Label "Made in Germany" auf ein recht günstiges 12,95-Euro-Geschirrtuch von Kaufhof kommen konnte. Dann ging er der Sache nach: "Infolge eines ,Betriebsunfalls' sind im vergangenen Jahr 2013 nur 759 Tücher des Artikels mit einer falschen Dekopapplasche versehen worden. Der hier aufgedruckte Hinweis ,Made in Germany' ist unrichtig!" Inzwischen, erklärt Ross, habe man alle diese Tücher zurückgerufen.
Vorwerk erklärte bis vor Kurzem auf der Unternehmenswebseite unter dem Stichwort "Produktionsstandorte", dass in Wuppertal "Forschung, Entwicklung und Produktion des Kobold" stattfinden. Wir kauften also den Kobold VC100 Akkustaubsauger ein - der Beginn eines großen Missverständnisses. Denn dieser, erklärte Vorwerk, werde, anders als sein großer Bruder, der Kobold VK150, nicht in Wuppertal, sondern in China hergestellt. Inzwischen hat Vorwerk den Eintrag online geändert.
So wertet ÖKO-TEST
Smiley gelb, ganz:
Der Hersteller hat offen über seine Herstellung informiert und hält sein Versprechen "made in Germany".
Smiley gelb, halb:
Die wesentlichen Fertigungsschritte erfolgen in Deutschland. Allerdings bezieht der Hersteller wichtige einzelne Bestandteile aus dem Ausland, obwohl sie aus Deutschland stammen könnten.
Smiley grau:
Der Hersteller hat sich zurückhaltend gezeigt, was die Herkunft von Rohstoffen, Bauteilen, Materialien angeht, Nachweise wurden nicht erbracht. Oder er hat einen wichtigen Fertigungsschritt im Ausland erledigen lassen - beispielsweise indem das fertige Baumwollgewebe zugekauft wurde.
Smiley rot:
Der Hersteller hat gar nicht erst geantwortet. Oder er ist uns wesentliche Informationen schuldig geblieben, sodass nicht nachvollziehbar war, welche Fertigungsschritte tatsächlich in Deutschland erfolgen. Rot gibt es auch für Hersteller, die ausschließlich in Drittländern produzieren oder wesentliche Fertigungsschritte ausgelagert haben, sodass man unserer Ansicht nach nicht mehr von "made in Germany" sprechen kann.
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